Das Chefhormon Serotonin

Sie sind selbstständig wie ich? Oder müssen Sie Leute delegieren? Denken Sie oft an Ihr Geschäft oder Ihre Praxis? Wie bekomme ich alles in den Griff? Wie erfülle ich alle Bedürfnisse am besten? Ihr tägliches Problem. Wie wird man eigentlich Chef? Wie wird man eine Führungspersönlichkeit? Auch hier können wir von den Tieren lernen.

Nehmen wir eine Affenhorde im Käfig. Der Vergleich liegt nahe. Wenn Sie mit geschultem Blick hineinsehen, werden Sie immer einen Chefaffen erkennen. Der sitzt links oben. Die anderen sind die Angestellten. Die Frage ist nun: wodurch unterscheidet sich der Chefaffe von seinen Angestellten? Ihnen fallen banale Erklärungen ein, wie „der tut nix“. Nun gut, aber es gibt eben auch eine sehr raffinierte Erklärung, die Sie auch auf sich übertragen können. Eine biochemische Erklärung: der Chefaffe hat doppelt so viel Serotonin im Blut.

Serotonin ist Ihnen allen aus der medizinischen Literatur bekannt – also aus Vogue, Madame, Elle, der Bunten… Serotonin wird das Glückshormon genannt.

Bei den Affen hat man weiter experimentiert. Kaum nimmt man den Chefaffen aus dem Käfig heraus, wird einer seiner früheren Angestellten zum neuen Chef. Und wenn Sie jetzt messen, dann hat der plötzlich doppelt so viel Serotonin im Blut. Was er vorher nicht hatte. Ein Wunder der Natur.

Es geht noch weiter: man hat einen ganz jungen Schwächling genommen, so einen Randaffen, und hat ihm Serotonin gespritzt. Wusch! Zitat aus der Originalarbeit: „We gave him a boost“. Man hat ihn also geboostet. Prompt wurde der junge Randaffe zum Chef. Durfte sich links oben auf den Ast setzen.

Die anderen sind – das wird genau beschrieben – misstrauisch um ihn herumgestrichen. Haben hochgeäugt. Haben gerochen, dass hier etwas nicht stimmt. Wollten Ihn vertreiben. Kamen eben aber nicht an ihn heran. Sie hatten eine innere biologische Sperre. Natürlich war der Boost nach drei Stunden wieder abgeklungen und der junge Schwächling wurde vertrieben. Sie bräuchten viel Serotonin, ständig!

Serotonin ist nämlich in Wahrheit das Chefhormon. Die Wirkungen sind bekannt:

  • es macht gute Laune
  • und es schafft inneren Abstand.

Gute Laune versteht man. Deshalb Glückshormon. Aber innerer Abstand? Soll heißen, Sie verbeißen sich nicht mehr in den täglichen Kleinkram, in die täglichen Probleme. Gehen nicht mehr in den Problemen auf, verlieren jeden Überblick, verzweifeln bis hin zum Burnout. Sondern Sie gehen auf Distanz. Sie treten innerlich drei Schritte zurück. Sie betrachten das Problem von außen. Überlegen. Und finden eine Lösung. Eine glänzende Beobachtung.

Ich weiß ganz genau, dass ich die ersten zwei Jahre in der Selbstständigkeit zu wenig Serotonin in meinem Gehirn herumkullern hatte. Ich habe mich immer in Probleme verbissen. Wirkte immer angestrengt und überlastet. Habe das Geheimnis gerade noch rechtzeitig zum Abschluss meiner Pubertät mit 37 kennengelernt.

Übrigens eine interessante Beobachtung: Chefsein scheint zu bedingen, nicht nur souverän Abstand zu halten und den Überblick zu haben, sondern auch gute Laune. Sagt uns die Biochemie. Sagt uns die Natur. Es ist doch so simpel, schlicht und einfach.

Tryptophan

Wie wird man eine Führungspersönlichkeit? Durch ausreichend Serotonin. Gut – aber woher nehmen? Serotonin entsteht im menschlichen Körper aus Tryptophan. Sie werden es kaum glauben, aber: eine Aminosäure. Damit sind wieder schon wieder voll beim Thema. All das, was Sie sich im Leben wünschen und erträumen, beruht auf Aminosäuren. Wenn Sie nur diesen Satz heute mit nach Hause nehmen! Tryptophan ist die seltenste Aminosäure in der Natur. Bemerkenswert. Vielleicht möchte die Natur nicht so viele Chefs? Die sollen vielleicht rar bleiben?

Tryptophan ist in jedem Schnitzel. Prima, denken Sie sich. Dann esse ich jetzt zehn Schnitzel, werde Chef und übernehme den Laden. Nicht schlecht gedacht. Funktioniert nur leider nicht. Das liegt wieder an einer biochemischen Tatsache: der Chemiker nennt Tryptophan eine große Aminosäure. Es gibt acht große Aminosäuren. Und diese acht konkurrieren um das kleine Türchen ins Gehirn, durch welches Tryptophan sich aus dem Blut ins Gehirn zwängen möchte. Sieben Konkurrenten gegen ein Tryptophan. Sieben gegen Einen. Das Ergebnis können Sie sich denken. Es kommt kaum etwas an.

Sie können die sieben Konkurrenten vertreiben, indem Sie den Insulinspiegel anheben. Insulin schleust die sieben anderen Aminosäuren direkt in die Muskelzelle. Tryptophan bleibt im Blut allein übrig, strömt ins Gehirn und – Sie bekommen Abstand, Überblick, Souveränität und gute Laune. Fangen das Grinsen an.

Manche von Ihnen kennen das. Manchen von Ihnen ist das – meist eher zufällig – schon einmal passiert. Manche von Ihnen haben aus Versehen mal richtig gegessen. Auch wieder so ein Begriff. Ja, es gibt richtiges Essen. Aber eben nur eines. Das werden Sie in Brigitte, Madame oder Focus nicht finden. Die reden von ausgewogen, reichhaltig, abwechslungsreich, schlicht: Kunterbunt. Genaues weiß man nicht. Nun ja: Wer schreibt das?

Richtiges Essen ist auch mir einmal aus Versehen passiert. Unvergesslich. An der Cote d’Azur. Da hatte ich Lachs bestellt. Vom Grill. Und dazu Sauce Bearnaise. Viel. Noch mehr. Ich liebe Sauce Bearnaise. Der Fisch kam, die Sauce nicht. Tja. Habe ich reklamiert. Grober Fehler. Ein Tiroler reklamiert im französischen Restaurant. Resultat: Die Sauce kam nie.

Also habe ich den Fisch trocken verzehrt. Einfach so. Mit Zitrone darüber gedrückt. Hat der eine oder andere von Ihnen – glücklicherweise! – auch schon mal probiert. Es kam also erstmals in meinem Leben Eiweiß pur ohne Fett in meinen Magen. Will sagen: es wurde sofort verdaut. Sie wissen, dass Fett die Verdauung lähmt. Das muss ich Ihnen nicht erklären. Essen Sie einmal eine Schweinshaxe zum Abendessen. Die haben Sie morgens um drei immer noch im Bauch. Fett lähmt die Verdauung.

Eiweiß pur

Jetzt also Eiweiß pur. Das wurde sofort verdaut. Die Aminosäuren strömten nur so in mein Blut. Fluteten an. Hilft leider nichts – es waren ja alle acht Konkurrenten. Und dann kam das Dessert. Cassis-Sorbet. Extra Portion. Extra viel. Reiner Zucker, wenn Sie so wollen. Mein Insulinspiegel stieg in ungeahnte Höhen, die siebe Konkurrenten – also die anderen sieben großen Aminosäuren – verschwanden im Muskel. Tryptophan blieb allein übrig, strömte in mein Gehirn und die Sonne ging auf. Schlagartig innere Freude, gute Laune, tiefste Zufriedenheit und – Abstand.

Ich weiß noch, wie ich mich zurückgelehnt habe, beide Arme auf die Stuhllehnen rechts und links und mit tiefer Zufriedenheit aus dem Panoramafester hinaus aufs Meer geblickt habe und mir gedacht habe: kann es mir je besser gehen? Unvergesslich.

Fazit: Eiweiß. Eiweiß pur. Hinein damit. Es gibt kein Zuviel, wie Ihnen jeder Löwe beweist. Und eine Stunde später den Insulinspiegel anheben. Die leichteste Übung der Welt. Jedes Kind macht’s Ihnen mit schokoladenverschmiertem Mund vor.

Die Praxis? Morgens Eiweiß pur. Am Vormittag eine Hand voll Cashewnüsse. So mach ich’s, wenn ich anschließend den Chef in der Apotheke herauskehren möchte – was ich dank meiner sehr geschätzten Mitarbeiter nie tun muss. Mittags Fisch. Pur. Vom Grill. Mit Zitrone. Dann süßes Dessert. Mache ich, wenn ich am Nachmittag Probleme erwarte. Denen ich mit unerschütterlich bester Laune und souveränem Abstand begegnen möchte.

Leben ist leicht. Glück, Erfolg, Energie schenkt Ihnen die Natur. Das beweist Ihnen jedes Tier. Wir sehen es nur nicht. Das ist Biochemie – kurz, knapp, prägnant und wirksam. Das können wir messen und das können wir auffüllen. Tryptophan gibt es zu kaufen – wie jede andere Aminosäure auch.